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Im Blutrausch

von Celina Ford

Im Blutrausch

Von Dracula bis Edward – ein klischeebehaftetes Vampirbild hat sich in der Popkultur festgebissen. Wie vielschichtig die blutsaugenden Untoten eigentlich sind, zeigt uns Illustrator, Autor und Vampirexperte Detlef Klewer im schriftlichen Interview.

Foto: Privat

Zu Beginn gleich die grundlegendste Frage: Was genau ist ein Vampir?

Was genau einen Vampir ausmacht, ist gar nicht so einfach zu beantworten. Die Vielfalt der
Erscheinungsbilder des Blutsaugers ist einfach zu groß. Die aristokratische Herkunft ist ja
eine literarische Erfindung, die sich spätestens mit Bram Stokers „Dracula“ etabliert hat.
Der obligatorische Umhang geht auf die Theateraufführungen Hamilton Deanes in den
1920er Jahren zurück. In der Geschichte selbst gibt es hingegen unterschiedlichste
Vampirwesen. Etwa den philippinischen „Aswang“ mit meterlanger Zunge, den in Flaschen
gezüchteten malaiischen „Pholong“, den indischen „Vetala“, der auf einem grünen Pferd
daherkommt oder den in Ghana und Togo beheimateten „Adze“, der als gestaltwandelnder
Leuchtkäfer auf Opfersuche ist. Allen gemeinsam ist eigentlich nur diese eine üble
Angewohnheit: Sie trinken Blut.

Kann man zurückverfolgen, woher der Begriff „Vampir“ überhaupt stammt?
In der modernen Sprachforschung gilt als sicher, dass der Begriff aus dem slawischen Raum stammt. Eine Bezeichnung, die sich – ursprünglich als „Vampyr“ – zwischen 1725 und 1732 auch in Westeuropa verbreitete. Die anfängliche Bedeutung in Osteuropa, sowie die dort mündlich überlieferten Namen „vampir“, „vanpir“, „upiry“ oder „vukodlak“ entsprechen der Bezeichnung für „Wolf“ bzw. „Werwolf“. 1047 wurde „Upir“ erstmals in einem auf einen russischen Prinzen bezogenes Dokument erwähnt, der dort als „Upir Lichy“ – also etwa „böser Vampir“ – bezeichnet wird. Es existiert auch die These, der Begriff sei makedonischer Herkunft. Demzufolge wäre die Bezeichnung „Vampir“ aus dem Wort „Opyr“ entstanden, das in seiner Übersetzung etwa „fliegendes Wesen“ bedeutet. Im deutschen Sprachraum tauchte das Wort „Vampir“ erstmals 1825 auf. Als Pluralform „Vampiri“ findet sich die latinisierte Wiedergabe in einem an die kaiserliche Administration in Wien gerichteten Bericht aus Serbien.
Obwohl der Vampir uns vor allem durch Medien bekannt ist, ist dieser keine moderne
Schauerfigur. Auf welches Jahrhundert lassen sich erste Berichte über Vampire datieren?

Das hängt davon ab, wie man „Berichte“ definieren möchte. Erste Erwähnungen bluttrinkender Wesen gibt es schon 1700 v. Chr. Eine der frühesten Abbildungen des Ritus einer „Vampir-Pfählung“ findet sich auf einem babylonischen Siegel. Aus China gibt es Dokumente um 600 v. Chr., die den „Kuang-Shi“, einen geflügelten Vampirdämonen, beschreiben. Das Auftauchen von Blutsaugern auf der griechischen Insel Santorin erwähnt der Jesuitenpater Francoise Richard 1657. Ein offizieller Bericht existiert indes 1728 aus Kisolova, einem kleinen Dorf in Serbien, wo das Militär einen Offizier einsetzte, um seltsame Vorfälle um einen verstorbenen Bauern aufzuklären. Und auch aus dem Jahre 1732, als der Regiment-Feldscher Johannes Fluchinger beauftragt wurde, Vampir-Vorfälle im serbischen Medvegia zu untersuchen. Die Königliche Preußische Societät kam am Ende
aber zu dem Schluss, dass die eigenartigen Phänomene wohl natürliche Ursachen haben mussten. Überhaupt gab es gerade zu Beginn des 18. Jahrhunderts viele offizielle Untersuchungen, die dokumentiert sind und die Existenz von Vampiren bisweilen tatsächlich nicht ausschließen wollten.

Als übernatürliches Wesen löste der Vampir bei den Menschen damals enorme Furcht
aus. Was waren altbewährte Mittel, um sich vor diesem zu schützen?

Am bekanntesten ist sicher der Knoblauch, dem heilende Kraft gegen Vergiftungen und Ansteckung zugesprochen wurde. Selbst in China und Malaysia zählte man es zu den stärksten Vampir-Abwehrmitteln. Ein alter Spruch – Similia similibus curentur – besagt „Ähnliches wird durch Ähnliches geheilt“. Dieser Glaube ließ die Menschen annehmen, man könne den stinkenden Vampir durch ebenso streng Riechendes abwehren. Es gibt aber eine sehr profane Erklärung für die Nutzung des Zwiebelgewächs. Es diente nicht der Abwehr, sondern sollte lediglich den Leichengestank überdecken, wenn deren Särge aufgebrochen wurden. Andere, dem Aberglauben geschuldete Hilfsmittel, waren z.B. Weißdornzweige. Russische Bauern nutzten Hähne, die man zum Krähen brachte, wenn ein Leichnam Anzeichen von Vampirismus zeigte. Der Tote sollte denken, der Tag sei angebrochen, denn Tageslicht beraubte ihn bekanntlich seiner Kraft. Oder man führte
eiserne Amulette oder Gegenstände mit sich. Ein Nagel aus Eisen galt von jeher als Schutz
vor bösen Kräften. Manchmal reichte auch eine einfache Maske – zum Schutz vor Erkennung durch einen Verstorbenen. Oder ein in den Weg geschobenes Möbelstück, denn der chinesische „Kuei-Shen“ vermochte sich nur in gerader Linie fortzubewegen. Besonders unappetitlich mutet
eine in Osteuropa verbreitete Sitte an: Das Backen von „Blutbrot“. Zu diesem Zwecke fing man das hervorsprudelnde Blut eines enttarnten Vampirs bei dessen Pfählung auf und verrührte es mit anderen Zutaten zu einem Teig, der anschließend wie Brot gebacken wurde. Ein gegessenes Stück davon sollte vor Übergriffen anderer Vampire schützen.

Gibt es eine historische Person, welche als Vorbild für die bekannteste Vampirfigur, Bram
Stokers Graf Dracula, ausgemacht werden kann?

Ja und nein. Als Vorbild gilt allgemein der walachische Fürst Vlad Tepes, genannt der
„Pfähler“. Sicher ist, dass sich Stoker von Holzschnitten dieser historischen Figur inspirieren ließ und seine Beschreibung Draculas diesen Abbildern ähnelt. Was ihn auch fasziniert haben dürfte, war die aristokratische Herkunft und der klangvolle Beiname des Woiwoden: „Dracul“. Allerdings sah der tatsächliche und historisch belegte Vlad Dracul die Romanschauplätze nie. So hat er weder auf Schloss Bran gelebt noch je den Borgo-Pass überquert. Stokers Romanfigur orientiert sich charakterlich weit enger an seinem Theater-Mentor Henry Irving. Es heißt, Irving sei für Stoker gewesen, was der fiktive Dracula für Renfield darstellte: sein Herr und Meister. Die Geschichte der ebenfalls historischen Figur der „Blutgräfin“ Elisabeth Báthory ist zusätzlich in die Ideenfindung eingeflossen.

Grundsätzlich liest man nur von dem Vampir. Wie steht es um weibliche Vampire?

Weibliche Vampire gibt es besonders in früheren Zeitepochen. Speziell die sinnesfrohen alten Griechen kannten gleich drei Vampirdämoninnen. Zum einen die „Lamia“, eine wunderschöne Frau, die Jünglinge verführte, um anschließend ihr Blut zu trinken. Zum anderen die „Empusen“, die ihre männlichen Opfer nach einer Liebesnacht umbrachten. Auch die „Mormo“ zählen zu dieser Gattung. Die „Aswang“ der Philippinen verkörpern ebenfalls wunderschöne Frauen, die allerdings zu Monstern mutieren. In Japan sind es die „Hannya“, die sich – besessen von Dämonen – in männerhassenden Furien verwandeln und selbst vor dem Verzehr kleiner Kinder nicht halt machen. Auch die Gräfin Elisabeth Báthory zählt man zu der Kategorie weiblicher Vampire, obwohl sie das Blut ihrer Opfer ja nicht getrunken, sondern darin gebadet haben soll. Inzwischen geht die Forschung aber davon aus, dass diese „Blutbäder“ niemals stattgefunden haben und lediglich erfunden wurden, um durch eine Verurteilung die Enteignung der Gräfin zu ermöglichen.

Der Vampir eignet sich hervorragend als Projektionsfläche. Von der sexuellen
Konnotation der penetrierenden Zähne bis hin zur Verkörperung von Fremdenhass als „gruselige Figur aus Osteuropa“ ist dieser auf viele Arten interpretierbar. Was
repräsentiert der Vampir noch?

Den Blutmythos. In nahezu allen Religionen und Sagen wird dem Blut eine außergewöhnliche und oft magische Bedeutung als „Träger des Lebens“ zuteil. Blut stellt einen ausgesprochen wichtigen Bestandteil vieler symbolischer Handlungen und magischer Riten dar. Manche Anhänger*innen einer Gottheit brachten ihr „Blutopfer“ dar. Verträge wurden mit Blut unterzeichnet, „Blutsbrüderschaften“ geschlossen. In der Antike wurde Blut als probates Mittel gegen Halsentzündungen und Epilepsie genutzt. Im Mittelalter setzte man es zur Behandlung von Gelenkschmerzen und Nervenleiden ein. Im
Nationalsozialismus eroberten sich archaische Blutmythen wieder Raum. So arbeitete die faschistische Propaganda mit grotesken Parolen wie „Blut und Boden“ oder der „Blutreinheit des deutschen Volkes“. Für den Vampir ist der rote Lebenssaft folgerichtig die einzige Nahrungsquelle zum „Überleben“.

Obwohl der Vampir einen alten Mythos beschreibt, ebbt die Faszination für diesen nicht ab. Was macht diese Figur so spannend und was begeistert Sie persönlich an Vampiren?

Spannend ist vor allem die unglaubliche Vielfalt blutsaugender Wesen und die kultur- und länderübergreifende Präsenz. Nahezu überall auf der Welt existieren Mythen, Legenden
und Geschichten darüber. Dem in allen seinen Facetten nachzuspüren ist wirklich faszinierend. Seit Dracula als Urvater der Vampire gilt, ist es allerdings besonders die unterschwellig sexuelle Komponente, die Vampire für Leser*innen und Zuschauer*innen so interessant macht.

Heutzutage stolpert man immer wieder über den Begriff „Psychic Vampires“. Welche Art von Vampir ist das?

Die Art von „Vampiren“, die ihren Opfern nicht das Blut, sondern die Lebenskraft aussaugt. Zumeist geschieht dies in sogenannten toxischen Beziehungen. „Psychische Vampire“ generieren ihr Wohlergehen allein aus der positiven Energie der sie umgebenden Menschen. Sie erschöpfen ihre Partner physisch, emotional oder psychisch und überschütten ihre Opfer ungefiltert mit eigener  Angst, Bitterkeit, eigenem Hass, Unglück, oder permanenten Forderungen. Was letztlich dazu führt, dass sich die Zielperson erschöpft, unkonzentriert und deprimiert fühlt, ohne dies jedoch einer psychischen Beeinflussung zuzuschreiben. Also ganz ähnliche Symptome, wie sie auch die Attacke eines Vampirs hervorrufen würde. Bereits 1930 von Dion Fortune beschrieben, wurde der Begriff
in den 1960er Jahren von dem Satanisten Anton LaVey popularisiert. Er bezeichnete damit eine geistig oder emotional schwache Person, die anderen die Lebensenergie entzieht. Allgemein werden insbesondere Narzissten und Choleriker dieser Kategorie zugeordnet. Esoterische Strömungen vertreten die Ansicht, ein psychischer Vampir sei tatsächlich in der Lage Chi, Lebenskraft, Prana und/oder Vitalität abzusaugen. Allerdings gibt es keine wissenschaftlichen oder medizinischen Beweise für die Existenz dieser körperlichen oder psychischen Energien.

Bei manchen Menschen geht die Faszination für und Identifikation mit Vampiren so weit, dass sie unter anderem tatsächlich Blut trinken. Kennen Sie Menschen, die als moderne Vampire leben?

Nein, persönlich habe ich noch keinen dieser modernen Vampire kennengelernt. Es handelt
sich dabei aber auch nur um eine sehr kleine Gruppe. Bei der Recherche zu meinem Buch
„Kinder der Nacht – Vampire in Film und Literatur“ fand ich heraus, dass gut eintausend Menschen in den USA leben, die diesen ungewöhnlichen Lebensstil pflegen. Hierzulande ist die Zahl erheblich geringer, selbst wenn vermutlich eine höhere Dunkelziffer existiert. Wichtig ist in diesem Zusammenhang jedoch die Erwähnung, dass es sich hierbei um die Subkultur einer kleinen Minderheit handelt, die nicht dazu dient, anderen Schaden zuzufügen. Natürlich gibt es auch hier psychopathische Einzelfälle, doch grundsätzlich gilt Blutkonsum in diesen Kreisen als sehr intimer Vorgang. Es sei ein Akt der Liebe, wie eine der modernen Vampirinnen in einem Interview sagte, den sie nur mit sehr wenigen Menschen teile. Einen klinischen Sonderfall mit Zwangsverhalten stellt das sogenannte Renfield-Syndrom dar.

F.W. Murnaus „Nosferatu“, ein Klassiker des deutschen Expressionismus, und Bela
Lugosis Darstellung als Dracula in Tod Brownings gleichnamigen Film von 1931 sind meine Favoriten unter den Leinwand-Vampiren. Welcher ist Ihr liebster Vampirfilm?
Mein All-Time-Favourite ist tatsächlich auch Murnaus „Nosferatu“, ebenso wie das 1978 entstandene großartige Remake von Werner Herzog. In diesem Zusammenhang sei auch noch der durchaus sehenswerte Film „Shadow of the Vampire“ erwähnt, der von der amüsanten Prämisse ausgeht, dass der Nosferatu-Darsteller Max Schreck tatsächlich ein Vampir gewesen sein soll, der sich mit Murnaus Wissen an der Filmcrew gütlich getan hat. Es gibt aber auch noch ein paar andere Meisterwerke, die ich immer mal wieder sehr gerne ansehe und Filmfreunden empfehlen kann. So Carl Theodor Dreyers halluzinatorisch- alptraumhafter „Vampyr – Der Traum des Allan Grey“, Maria Bavas „La maschera del demonio (Die Stunde, wenn Dracula kommt)“ – die schwarzweiße Adaption einer Nicolai Gogol-Geschichte – Harry Kümels Báthory inspirierter „Les lèvres rouges (Blut an den Lippen)“, Tony Scotts stylischer „The Hunger (Begierde)“ und George R. Romeros moderne Variation „Martin“.
Und zum Schluss natürlich die alles entscheidende Frage: Ist „Twilight“ wirklich so abgrundtief schlecht?

Ja. „Twilight“ ist wirklich schlecht. Was aber weniger daran liegt, dass Stephenie Meyer als mittelmäßige Autorin beurteilt werden muss, ihre Vampire glitzern und die Filme hochglanzpolierte Mainstreamprodukte sind. In diesen Punkten befinden sich alle Beteiligten in prominenter Gesellschaft. Der Grund besteht eher darin, dass das exotische Vampir-Werwolf-Ambiente komplett austauschbar ist – es könnte sich hier auch um verfeindete Mafiaclans handeln, oder die Fehde zwischen Fantasywesen wie Elben und Orks – und die Vampirthematik leider nur als für die Zielgruppe interessant erscheinendes Transportmittel einer extrem konservativen Weltsicht herhalten muss.