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Film ab: Das Zelig

Eine Filmrezension von
Sönke Hausleiter

Film ab: Das Zelig

Wie schwer die Vergangenheit auch wiegt, so wichtig ist es, niemals zu vergessen. Wie Holocaust-Überlebende sich im Café Zelig gemeinsam erinnern, fängt die Dokumentation „Das Zelig” ein.

Foto: Paul Nardi

Die Jalousien eines noch im Mantel der Nacht liegenden Raumes werden langsam aufgezogen. Es folgen schnelle Schritte, das Drehen eines Schlüssels, das Öffnen der Haustüre, Lichtstrahlen und ein Schnitt. Ein Schnitt zu einem Gespräch zwischen zwei hochbetagten Menschen. Es wird gescherzt. Wir haben den Raum nicht verlassen. Nun hell erleuchtet und voller Leben – weiße Wände, hohe Decken, Tischgarnituren bestückt mit zierlichen Blumen und Schalen voller Salzstangen. Die Besucher*innen tratschen fröhlich, begrüßen sich. Manch eine*r mit sich bekannt, manch andere*r stellt sich das erste Mal vor. Am Rande packen zwei Künstler*innen ihr Equipment aus, denn heute ist Programm im Café Zelig. Es ist eine der ersten Szenen des 2021 von Tanja Cummings veröffentlichen Dokumentarfilms „Das Zelig”. Im Zentrum steht das namensgebende Café Zelig, das im Jahr 2016 von der Israelitischen Kultusgemeinde München mit Unterstützung der TU München und der EVZ-Stiftung gegründet wurde. Es ist ein Begegnungsort für Überlebende der Shoah, die heute im Raum München leben. Der Film wurde auf dem DOK.fest 2021 sowie bei den jüdischen Filmfestivals in Miami und Moskau vorgestellt. Premiere war am 27. Oktober 2021 in München.

Cummings begleitet ihre Protagonist*innen auf dem Weg in die eigene Vergangenheit, reist mit in ihre alte polnische Heimat und erfährt, wie schwer es war und ist, nach solchen Erlebnissen wieder zurück ins Leben zu finden. Gerade in Deutschland. Wir erfahren vom Überleben, wie viel gelacht, gefeiert und hitzig diskutiert werden kann, aber auch vom Verlust und von Zeiten, in denen geschwiegen und getrauert wird. Zudem lernen wir Kinder von Holocaustüberlebenden auf der Suche nach Spuren aus dem Leben ihrer Eltern kennen. Auch erhaschen wir Einblicke in den aufopferungsvollen Kampf um eine nicht vergessende Erinnerungskultur.

Im April 2022 lief „Das Zelig” dann im Bamberger Lichtspiel, unter anderem organisiert vom Jungen Forum der Deutsch-Israelischen Gesellschaft. Cummings sowie zwei der Protagonist*innen waren für eine anschließende Fragerunde mit dem Publikum an dem Abend zugegen. Im Laufe dieser wurde klar, wie wichtig das Erinnern und das Nicht-Vergessen für die Regisseurin ist. Sie unterstrich die Relevanz von Initiativen und Kontaktmöglichkeiten mit diesem Thema in unserer Gesellschaft, so beobachte man doch eine Steigerung von Holocaust-verharmlosenden Äußerungen und Handlungen auf Demonstrationen der letzten Pandemiejahre.

Das jiddische Wort „zelig”, das dem Café seinen Namen verleiht, bedeutet „gesegnet”, ist aber auch mit Gefühlen von Heimat, Zugehörigkeit und Leichtigkeit verknüpft. All das fängt der Film ein, indem er auf Eingriffe und Kommentare verzichtet und den Protagonist*innen Raum für ihre Geschichten und Erlebnisse gibt. Es ist ein lebhafter und berührender Einblick in das Café Zelig, das 2022 sein sechstes Jubiläum feiert. Wer sich selbst einen Eindruck verschaffen möchte, hat dazu auch in diesem Jahr noch zahlreiche Möglichkeiten – unter anderem in Nürnberg am 12. November.