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Bücher? Kannste knicken!

von Katharina Reuter

Bücher? Kannste knicken!

Wer Bücher liebt, lässt sie unbefleckt – auf den ersten Blick beißt sich die Wertschätzung für Literatur mit Notizen, Flecken und Falten auf den Seiten. Aber sind nicht vielleicht sogar Bücher mit Eselsohren die besseren Bücher?

Meine Mitbewohnerin und ich kommen normalerweise gut miteinander klar. Wir haben viele gemeinsame Interessen, kochen gerne zusammen, machen beide Yoga und schauen dieselben Netflix-Serien. Nur in einem Punkt beißen sich unsere Ansichten. Wenn sie ein Buch von mir aufgeklappt oder mit dem Rücken nach oben auf meinem Tisch liegen sieht, schaut sie schmerzverzerrt in Richtung des Buches. Einmal habe ich den Fehler gemacht und erwähnt, dass ich manchmal in Bücher schreibe oder Textpassagen unterstreiche. „Du musst sie liebevoll behandeln. Du tust ihnen weh. Das kannst du nicht machen“, sind Sätze, die ich dann zu hören bekomme. Allerdings stammt der, aus Sicht meiner Mitbewohnerin, achtlose Umgang von meiner Zuneigung zu den Büchern und ihren Geschichten. Bücher, und deren liebevolle Abnutzung waren schon immer ein wichtiger Teil meines Lebens. Beim Lesen unter der Bettdecke in Grundschulzeiten ging schon mal ein Lesezeichen verloren, also wurde stattdessen die Taschenlampe dafür benutzt. Beim Lesen an Sommertagen auf der Wiese gab es weit und breit keine Bucheinmerker, stattdessen aber Blumen und Gräser. Beim In-Krimis-Verkriechen am Strand sind Postkarten eine gute Alternative. Sie sind zwar auch sehr dünn, dafür landen die Bücher aber schon mal mitten im nassen Sand.

„Bücher waren schon immer ein wichtiger Teil meines Lebens.“

All diese Gewohnheiten tragen dazu bei, dass die Bücher am Rücken ausbeulen und sich grüne Flecken auf Seiten und Sandkörner zwischen den welligen Blättern befinden. Jetzt könnte ich mich darüber ärgern, dass die Bücher nicht mehr wie neu aussehen und viele Gebrauchsspuren aufweisen. Aber all diese Macken assoziiere ich mit den Orten und Zeiten, an, und in denen ich die Bücher gelesen habe. Während ich mental auf Reisen gehe, nehme ich das Buch mit und verknüpfe es mit der physischen Welt. Wie schön ist der Gedanke an die Sonnenstunden im Garten oder den Strand, wenn ich gerade nicht die Möglichkeit habe, dort zu sein? Und zusammen mit den Erinnerungen an die Orte kommen die Geschichten aus den Büchern wieder auf. All die Gedanken und Vorstellungen, die ich beim Lesen hatte, sind wieder da. Durch Eselsohren, Markieren und Beschriften baue ich eine Beziehung zu dem Buch auf. Ich nehme das Buch mit auf eine Reise, so wie der Inhalt mich mitnimmt. So existiert nun nicht mehr nur allein die Geschichte des Buchs, sondern meine und seine Gemeinsame.

In manchen Büchern sind Zeilen unterstrichen, die mir beim ersten Lesen aufgefallen sind, und Eselsohren zeugen davon, wie lange ich für ein Buch gebraucht habe. War es fesselnd, hat es nur ein, zwei Knicke. Hat mir der Text nicht so gelegen, sind es ganz viele am Anfang des Buchs und keine mehr im hinteren Teil. Die Art der Abnutzung lässt auch Außenstehende erkennen, wie sehr ein Buch geliebt und wertgeschätzt wurde. Ein gutes Buch in einer Bibliothek fällt dadurch auf, dass die Seiten abgegriffen sind und der Buchrücken wellig ist. Durch wieviele Hände das Buch schon gegangen ist? Das ist schwer zu erahnen. Mit jeder*jedem neuen Leser*in kommen neue Makel hinzu, die von diesen Menschen und ihren Gewohnheiten erzählen. Es geht immer nur darum, das Buch zu erweitern, nie darum, es zu zerstören. Ich kann es nur empfehlen: Nehmt eure Bücher mit, vielleicht auch dieses Heft, unterstreicht Dinge, die euch wichtig erscheinen, knickt Seiten um und macht so die Geschichten zu euren eigenen.