„I Don't Feel Hate“
Rund drei Viertel der Deutschen sind schon einmal Hate Speech oder Hasskommentaren im Internet begegnet. Das zeigt eine forsa-Befragung aus dem Jahr 2021. Aber wie fühlt es sich an, wenn man diese bissigen Kommentare nicht nur bei anderen liest, sondern sie unter eigenen Posts findet? Im Interview berichtet uns Sänger und Schauspieler Jendrik Sigwart von seinen Hate-Speech-Erfahrungen und davon, wie er damit umgegangen ist.
Foto: Jendrik Sigwart
22. Mai 2021, 22.10 Uhr: Der Hamburger Jendrik Sigwart steht für Deutschland beim Eurovision Song Contest (ESC) in Rotterdam auf der Bühne. Mit seinem Song „I Don’t Feel Hate“, einer glitzernden Ukulele und einem Dance-Battle mit einem tanzenden „Peace-Zeichen“ verkörpert er die gute Laune in Person. Wer vor dem Fernseher sitzt, würde wohl kaum vermuten, dass sich Jendrik zu diesem Zeitpunkt schon seit einigen Wochen mit Hass auf Social Media konfrontiert sieht. Auch nach dem ESC posten etliche Instagram-Nutzer*innen bissige Kommentare unter Jendriks Beiträge und schicken hasserfüllte Direktnachrichten.
„Da fühlen sich Leute gegebenenfalls herausgefordert, mir mit Hass zu begegnen.“
Kannst du dich an die ersten Hass-Kommentare erinnern? Wie hast du dich damit gefühlt?
Die ersten Kommentare haben in mir noch nichts Krasses ausgelöst. Die kamen, als bekannt gegeben wurde, dass ich zum ESC fahre. Da kamen Nachrichten im Sinne von „Ach, das wird nichts!“ oder „Wie sieht der denn aus?!“, aber darauf war ich vorbereitet, weil der NDR mich vorgewarnt hatte. Und weil das oberflächliche Kommentare waren, konnte ich sie leicht ausschalten. Was mich richtig getroffen hat, waren Bemerkungen in Bereichen, in denen ich mich unsicher gefühlt habe. Wenn man sich der eigenen Schwächen bewusst ist und Andere darauf eingehen – das trifft dann. Richtig extrem wurden die Hate-Kommentare dann kurz vor und kurz nach dem ESC. Ich glaube mein Fall war da etwas speziell, weil ich einen Song geschrieben habe, der gegen Hate war und ist. Da fühlen sich Leute gegebenenfalls herausgefordert, mir mit Hass zu begegnen.
In „I Don’t Feel Hate“ singst du darüber, dass du als Reaktion auf Hass Mitleid empfindest. Reagierst du auch aktiver auf Nachrichten?
Ich bin immer noch der Ansicht, dass man auf Hass nicht mit Hass reagieren sollte. Ich denke aber, dass es jeweils zwei Antworten auf zwei Arten von Hass gibt. Auf der einen Seite gibt es Hass, der darauf basiert, dass eine Person „gefühlt“ mit sich selbst nicht im Reinen ist, wie beispielsweise bei homophoben Kommentaren. Die Motivation dafür ist, jedenfalls kommt es so bei mir an, einfach hassen zu wollen. Darauf kann man beispielsweise mit Mitleid reagieren, wie ich es in „I Don’t Feel Hate“ beschreibe. Auf der anderen Seite, gibt es Hass, der „persönlich“ ist. Wenn ich beispielsweise Direktnachrichten von Follower*innen bekomme, die auf persönliche Aspekte eingehen. Da gehe ich ins Gespräch und frage ehrlich und offen nach. Die meisten realisieren dann, dass da eine echte Person auf der anderen Seite sitzt und sie merken: „Moment, ich selbst bin doch eigentlich nicht so böse.“ Ich versuche diese Wand aus Anonymität, die online existiert, in solchen Momenten zu durchbrechen. Ich glaube, wer ein gesundes Bewusstsein für die eigenen Stärken und Schwächen hat, kann online auch versuchen, humorvoll mit Hass-Nachrichten umzugehen. Dafür braucht es ein bisschen Selbstironie. Es ist gesund, über sich selbst lachen zu können. Wenn du deine Schwächen kennst und weißt, wie du mit ihnen umgehen musst, kannst du negative Nachrichten auch mit Humor nehmen.
„Das Schöne ist: Für jeden negativen Kommentar gibt es meistens auch mehrere Positive. Ich musste mir antrainieren, mich auf die Positiven zu fokussieren.“
Während der Algorithmus Dinge schon wieder vergessen hat, sind sie im Kopf oftmals noch lange aktuell. Wie gehst du mental mit Hate-Speech um?
Mir hilft darüber nachzudenken, was die Motivation hinter den Kommentaren ist. Stell dir vor, du bist im Meer und ein Hai schwimmt um dich herum. Dann denkst du direkt, der Hai will dich fressen. Aber vielleicht will er nur da schwimmen und hat dich überhaupt nicht im Blick. Wenn man ihre Motivation kennt, sind Haie vielleicht gar nicht so gefährlich, wie wir es uns einreden. Und dann denke ich mir immer: Wenn man etwas präsentiert, wird es immer positive und negative Reaktionen geben. Das ist ein Teil vom Leben in der Öffentlichkeit und auch beim „Online-Sein“. Das Schöne ist: Für jeden negativen Kommentar gibt es meistens auch mehrere positive. Ich musste mir antrainieren, mich auf die Positiven zu fokussieren. Man trainiert auch zu ignorieren. Ich glaube, die meisten negativen Nachrichten gegen beispielsweise Personen des öffentlichen Lebens haben nichts mit ihnen persönlich zu tun, sondern man ist Ziel von Leuten, die schlechte Laune haben und sie gerade irgendwo rauslassen wollen. Wenn man realisiert, dass die Kommentare eigentlich nur für deren Selbstwertgefühl sind, kann man die meisten ignorieren. Wenn dich die Nachrichten aber wirklich treffen, dann hilft Kommunikation. Mir hilft es, die Person direkt darauf anzusprechen, wenn es möglich ist, oder ich wende mich an Freund*innen und Familie. Sie zeigen mir dann, dass diese Hate-Kommentare nicht so schlimm sind, wie sie mir in meinem Kopf gerade vorkommen. Das hilft total. Für mich ist generell jede Form von Kommunikation gut – ich nutze dies beispielsweise im kreativen Sinne als eine Art „Vehikel“, wenn ich zum Beispiel als Schauspieler oder Musiker auf der Bühne stehe oder Songs schreibe und produziere. Ich glaube Kommunikation mit anderen Menschen ist das A und O – und das geht auf vielen verschiedenen Wegen.
Der ESC und seine Fans stehen für Toleranz. Im Gegensatz dazu bekommst du online immer wieder homophobe Kommentare. Welchen Stellenwert haben Communities für den Umgang mit Hass-Nachrichten für dich?w
Egal zu welcher Gruppe man gehört, sei es LGBTQIA+, andere Minderheiten, ein spezielles Musikgenre – bedauerlicherweise wird man wahrscheinlich immer irgendwie angefeindet oder Formen von Hass erfahren. In Gruppen ist man aber nicht alleine und das ist wichtig. Unter anderem bietet das Internet einem hier Möglichkeiten, Leute zu finden, die zur gleichen Gruppe gehören beziehungsweise die ein ähnliches Mindset wie man selbst hat.
Jendriks Go-to-Songs für den Umgang mit Hass-Nachrichten:
- “Human” von dodie
- “I Did Something Bad” von Taylor Swift
- “I Wish I Knew How It Would Feel to Be” von Lighthouse Family
- “Everything I Wanted” von Billie Eilish
Bald veröffentlicht Jendrik auch selbst Songs, die sich thematisch anschließen.