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Botox für die Beißer

von Miriam Uhl

Botox für die Beißer

Alles begann mit einem harmlosen Knacken im Kiefer. Jetzt bin ich auf dem Weg zum Schönheitsdoc. Ein Bericht über weitverbreitete und doch unbekannte Kieferbeschwerden.

Als ich zum ersten Mal bemerke, dass irgendetwas mit meinem Kiefer nicht so richtig passt, bin ich 18 Jahre alt. Beim Gähnen knackt es dumpf unterhalb meines Ohrs. Weh tut nichts, weshalb ich dieses Geräusch beim Zahnarzt jahrelang nicht erwähne. Später fühlt sich Kauen komisch an, das Knacken tritt vermehrt auf und irgendwie habe ich das Gefühl, dass mein Kiefer nicht richtig schließt. Vergleichbar ist das mit einer kaputten Kühlschranktür, die irgendeinen Schaden am Scharnier hat.

Die Abwärtsspirale beginnt

Im Studium habe ich vermehrt Kopfschmerzen und Nackenverspannungen. Während Corona- und Online-Lehre wird das noch schlimmer. Da meine Kieferbeschwerden auch unangenehmer werden, denke ich bei meinem nächsten Zahnarzttermin tatsächlich daran, diese anzusprechen und bekomme eine dünne Schiene. Diese dient zum Schutz, da ich nachts und in Stresssituationen die Zähne stark zusammenpresse und knirsche. Das nennt man Bruxismus. Im Nachhinein ergibt das nur Sinn. Die Zahnärztin Christiane Leistner gibt meinen Symptomen endlich einen Namen: CMD – Craniomandibuläre Dysfunktion.

Bild: Privat

Das Kind beim Namen nennen

Leistner, CMD-Expertin, erklärt mir, dass ich bei weitem nicht die einzige mit diesen Problemen sei. Es handle sich bei CMD, einer schmerzhaften Funktionsstörung des Kauorgans, um eine Volkskrankheit. Auch viele Studierende kämen zu ihr in die Praxis, diese „beißen sich“ im wahrsten Sinne des Wortes durch Prüfungsphasen, Abgaben und andere Situationen. Dieses Phänomen ist natürlich auf sämtliche andere Personengruppen übertragbar. Bruxismus führt durch die Überlastung der Zähne, Kaumuskulatur und Kiefergelenke zu Symptomen, die Schmerzen in benachbarte Strukturen ausstrahlen. Das Knacken, sowie meine Kopf- und Gesichtsschmerzen haben also einen Ursprung. Da kann ich nur froh sein, dass ich von Symptomen wie Ohrenschmerzen und Tinnitus verschont bleibe.

Es geht wieder aufwärts

Im Laufe meiner Behandlung bekomme ich eine einfache Aufbissschiene, soll mich entspannen (was verflucht nochmal gar nicht so einfach ist, wenn man das gesagt bekommt) und bekomme Physiotherapie. Das ist zwar alles schön und gut, bringt mich aber trotzdem nicht weiter. Ich beschließe also härtere Geschütze aufzufahren. Von einer Freundin erfahre ich, dass sie Botox im Masseter, dem größten Kaumuskel, hat. Hört man das Wort „Botox“, hat wohl jede*r zunächst Z-Promigesichter ohne Mimik und Falten dafür aber mit aufgespritzten Lippen im Kopf. Als ich meinen Eltern von dieser Idee erzähle, sind diese zunächst komplett entgeistert. Es hieße ja schließlich „Botulinumtoxin“ und das sei doch eigentlich Gift. Patrick Häußler, Arzt im Bereich der ästhetischen Medizin, klärt jedoch auf, dass es kaum vergleichbare Medikamente mit derart guter Studienlage gäbe. Bei der Dosis, die im Gesicht verwendet wird, würden auch selten systematisch ausgeprägte Nebenwirkungen festgestellt werden.

„Ich muss mich entspannen, kann das aber nicht und bin deshalb noch angespannter.“

Wer nicht wagt, der nicht gewinnt

Ich entscheide mich, auch wenn die Krankenkasse ihn nicht übernimmt, für den Eingriff. Das Resultat hört sich für mich doch stark nach „Happy End“ an. Botox wirkt folgendermaßen: Das Muskelrelaxans blockiert die Signalübertragung vom Nervenende auf die Muskulatur, welche diese entspannt. Thomas Spitzer, Comedian und Ehemann von Hazel Brugger, hat die ganze Prozedur bereits hinter sich. In der Folge „Thomas beim Schönheitschirurgen“ im Podcast „Nur verheiratet“ des Ehepaars, beschreibt er die Wirkung von Botox als „Barkeeper, der einer*m ein Wasser dazwischenschiebt“. Diese Phase der Muskelentspannung ist also eine Unterbrechung des Teufelskreises von „ich muss mich entspannen, kann das aber nicht und bin deshalb noch angespannter“, was sich natürlich alles wieder auf den Kiefer auswirkt. Die Behandlung bei Häußler ist nicht weiter schlimm und die vier kleinen Stiche pro Seite tun nicht weh. Mein Pro-Tipp: Solltet ihr das auch tun, nehmt euch eine Begleitperson mit. Denn das „ich-kipp-hier-gleich-vom-Stuhl-weil-mir-so-schwindelig-ist“-Potential is real!

Happy End?

Zwei Tage nach meinem Botox-Termin bin ich wieder bei Leistner. Ich kann meinen Mund bereits einen halben Zentimeter weiter öffnen und der Kaumuskel scheint auch entspannter zu sein. Meine Beschwerden sind etwa eine Woche später bereits deutlich zurückgegangen, was mich mehr als erleichtert, da Knacken, Kopf- und Nackenschmerzen schon irgendwie auch psychisch belastend sind. Ich habe jetzt auch eine funktionell aufgebaute Schiene, welche im Gegensatz zur einfachen nicht nur die Zähne schützt, sondern auch die Kiefermuskulatur entlastet. Drei bis vier Monate nach der ersten Botox-Behandlung, wird die Zweite folgen. Anschließend müsse man laut Häußler sehen, ob und wie oft man diese noch brauche. Für den Moment ist alles gut und ich hoffe, die nächste Prüfungsphase unbeschadet und ohne „Zähne-zusammenbeißen“ zu überstehen!

Tipps für akute Symptome von Christiane Leistner:
  • Keine Kaugummis, die sind wie Bodybuilding für die Kiefermuskulatur
  • Ausgleich für Stress finden, Entspannung durch Sport, Yoga oder Meditation
  • Wer tagsüber „zubeißt“: Summen hilft
Info

Im Alltag verkrampfen wir unseren Nacken oft, ohne das zu bemerken. Beispielsweise am Schreibtisch, wenn wir in den Laptop schauen, am Handy sind oder lesen. Der Kopf neigt sich nach unten. Da die Muskeln im Hals eigentlich nicht zum Halten, sondern für kleinere Bewegungen da sind, werden die Schultern nach oben gezogen und der Kiefer oft zusammengepresst. Man macht sich sozusagen zum Brett. Das ist weder angenehm für den Nacken, noch für den Kiefer. Die Devise ist also: sich zwischendrin entspannen, bewegen und anders hinsetzen.